„Work in Progress“

Situation

Die Studentenstadt Freimann entstand in einer Phase des Umbruchs im deutschen Städte­bau. Der Wiederaufbau der Nachkriegszeit, die Wieder­herstellung des Not­wendigsten war weitgehend abgeschlossen. In dieser Zeit drängender Wohnungs­not jedoch galt es zunächst, schnell Ersatz zu schaffen. Zukunftsweisende städtebauliche und stadtplanerische Aspekte standen zwangsläufig im Hintergrund.

Dies änderte sich in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Der Städtebau rückte ins Zentrum der gesellschaftlichen und politischen Diskussionen. Ging es doch um nicht weniger als die Frage, wie man zukünftig leben wollte, und um das Selbstverständnis der Bundesrepublik knapp 20 Jahre nach ihrer Gründung.

1965 erschien Alexander Mitscherlichs Essay „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“. Darin kritisiert er auf der Basis einer schonungslosen sozialpsychologischen Bestandsaufnahme die Auswirkungen unreflektierten Bauens, das sich seiner gesellschaftlichen und politischen Folgen nicht bewusst ist – oder sie ignoriert.

Ideale

Den Planern der Studentenstadt waren diese Probleme bewusst. Sie wollten eine Stadt mit inter­nationalem Charakter, mit vielen Gemeinschaftseinrichtungen, viel Grün, ausreichend Platz für Ruhe und Arbeit, Spiel- und Entwicklungsräume für eine junge Gemeinschaft. Sie planten eine Stadt, in der nicht nur Studierende aus der ganzen Welt, sondern auch Lehrende und Lernende miteinander leben und arbeiten sollen. So entstanden beispielsweise neben den so genannten „Atriumhäusern“ der „Altstadt“ drei „Professorenhäuser“.

Sie planten das Modell einer Stadt für mündige, aktive Bewohner. Eine Stadt für „Bürger“ im vollen Sinne des Wortes, die ihr Leben in der Gemeinschaft selbständig organisieren und gestalten.

Ernüchterung

Die anhaltend große Wohnungsnot der Studierenden aber erzwang eine Korrektur der ursprüng­lichen Absichten. Möglichst schnell, möglichst viel, möglichst preisgünstigen Wohnraum zu schaffen wurde in den 1970er Jahren wieder zur Priorität Nr. 1 für Planer und Bauherren. Zu schnell war die Stadt München gewachsen, zu wenig hatte die Infrastruktur Schritt halten können, zu wichtig war es den jungen Studierenden geworden, unabhängig zu leben.

Der dritte und vierte Bauabschnitt der Studentenstadt (Baubeginn 1971) tragen dieser veränderten Situation Rechnung: Gebaut wurden Hochhäuser wie das Hanns-Seidel-Haus, mit Appartements, eigener Küche und eigenem Bad und leider auch wenigen Gemeinschaftseinrichtungen.

Schon in den achtziger Jahren wurde dann das Fehlen eben dieser Gemeinschaftseinrichtungen heftig beklagt. Ein Defizit, dem durch nachträglichen Einbau der Gemeinschaftsappartements (GAPS) Rechnung getragen wurde.

Das Experiment der „Professorenhäuser“ – inspiriert vom angelsächsischen Modell der Campus­universität – war und ist allerdings nicht sehr erfolgreich. Vielleicht ist die Zeit für ein gemeinsames Leben der Lehrenden und Lernenden auf dem Campus bei uns noch nicht gekommen.

Entwicklung

Wer die Studentenstadt kennt, weiß, dass hier immer irgendwo gebaut wird. Umfassende Sanierungen, die Anpassung an energetische Erfordernisse und die adäquate Umsetzung aktueller und künftig zu erwartender Ansprüche der Bewohner stehen dabei im Mittelpunkt. So wurden bei der Sanierung des Egon-Wiberg-Hauses neben der Umsetzung der aktuell notwendigen baulichen Maßnahmen zur Energieeinsparung die Gemeinschaftssanitärräume aufgelöst und in die Zimmer der Bewohner integriert. Belohnt wurde diese Sanierung mit dem Bauherrenpreis der Landeshauptstadt München.

So wenig wie das Leben in ihr je still steht, erreicht die Stadt selbst einen Zustand, der als „fertig“ im Sinne von abgeschlossen bezeichnet werden kann – auch nach 50 Jahren, die Stadt bleibt ein lebendiger Organismus.

Und weiter?

Vor allem die Finanzierung ist das Hauptproblem der in den kommenden Jahren anstehenden umfassenden Sanierungen. Vor allem die großen Maßnahmen an der Christoph-Probst-Straße sind – trotz partieller öffentlicher Förderung – eine Herausforderung.

Aber wie in Zeiten seiner Gründung versteht sich der Verein auch künftig als Mentor der Bewohnerinnen und Bewohner und ihrer Interessen. Es geht um den Erhalt der Stadt und um den Erhalt ihrer besonderen Qualität, ihres Charakters und ihres Selbstverständnisses – nicht als „Studenten-Ghetto“, sondern als Lebensraum und Gegenbild zu Mitscherlichs sozialpsychologischer Analyse der ‚Unwirtlichkeit unserer Städte’.